Dienstag, 18. Juni 2013

Burg 2.0 in Guédelon

Burbaustelle Guedelon
Die Burgbaustelle Guédelon. Fotos: hw

Bauen à la Mittelalter


Stellen Sie sich vor, Sie müssen Essen für 1000 hungrige Mäuler zubereiten, haben aber statt einer Großküche nur ein offenes Feuer im Wald brennen. Oder Sie sollen eine Hütte bauen, doch alles, was Sie an Werkzeug haben, ist ein Faustkeil – Akkuschrauber und Motorsägen sind tabu. Und schon kann man sich recht gut in die 50 Männer und Frauen hineinversetzen, die im burgundischen Guédelon in Mittelfrankreich eine mittelalterliche Burg bauen - mit mittelalterlichen Methoden.



1997 begannen die Arbeiten in einem ehemaligen Sandsteinbruch nahe Treigny, nach Guédelon-Zeitrechnung entsprach dies einem Baustart im Jahr 1229. Das Werk soll nach 25 Jahren vollendet sein. Dabei kommen nur klassische Gewerke mit mittelalterlichen Werkzeugen zum Einsatz: Beil und Säge für die Holzfäller, Keil und Meißel für Steinbrecher und -metze, die Flechtscheibe für den Seilmacher, der hölzerne Tretkran für die Maurer und so weiter. Um des Arbeitsschutzes willen sind allerdings ein paar Anachronismen wie Stahlkappenschuhe zugelassen.




Video: Burgenbau in Guédelon




Tretkran
Tretkran à la Mittelalter



Hinter all dem Tun der Männer und Frauen im groben Sackleinen steckt indes keine Askese, sondern „experimentelle Archäologie“, man könnte es auch empirische Altertumsforschung nennen. Ein Konzept, wie es zum Beispiel Thor Heyerdahl einsetzte, als er frei von moderner Technologie Schilfboote und Wikingerboote baute, um den Beweis anzutreten, dass die Nordmannen Amerika bereits lange vor Kolumbus entdeckt haben konnten. Zu denken sei auch an die Versuche diverser Wissenschaftler, die Bautechniken für die ägyptischen Pyramiden zu rekonstruieren oder an das schwedische Schaudorf Fotevikens, in dem Leben und Arbeit in einer Wikingersiedlung nachgestellt werden.


Seilmacher
Der Seilmacher erklärt den Kindern seine Arbeit. Foto: hw


Hinter dem französischen Versuch, hochmittelalterliche Bautechniken wiederzubeleben, stecken der Enthusiast Michel Guyot und der Architekt Jacques Moulin, die es satt hatten, immer nur alte Schlösser und Burgen zu restaurieren. Sie begannen, Freiwillige und Geld zu sammeln, um eine mittelalterliche Burg mit mittelalterlichen Methoden zu bauen. 



Video Burgenbau Guedelon
Steinmetze beim Burgenbau. Foto: hw


Inzwischen ist ihr Projekt ein Selbstläufer, der nicht mehr auf staatliche Förderung angewiesen ist, sondern sich größtenteils aus den Eintrittsgeldern Hunderttausender Besucher finanziert, die die ungewöhnliche Baustelle scharenweise heimsuchen. Auffällig ist die starke Kinderpräsenz auf dem Gelände: Schulklassen wie Kindergartengruppen pilgern Bus auf Bus nach Gudélon, lassen sich vom Schmied die alten Werkzeugen erklären, schauen den Ziegelbrennern bei der Arbeit zu, basteln in speziellen Werkstätten hölzerne Maßlehren, wie sie im Mittelalter – im größeren Maßstab – zum Beispiel für den Gewölbebau eingesetzt wurden, brüllen im Chor „Plus vite! Plus vite!“ (Schneller! Schneller!), wenn sich der Tretkran am Burgpallas in Bewegung setzt – und haben offenbar viel Spaß dabei. Kein Wunder: Dieses Projekt sucht in Europa seinesgleichen. Heiko Weckbrodt




Zahlen und Fakten:
  • Guedelon liegt an der D 965 nahe der Gemeinde Treigny
  • Baustart war 1997 (bzw. 1229), Bauende soll 2023 (bzw. 1255) sein
  • Auf der Baustelle selbst leiten rund 32 Festangestellte Dutzende Freiwillige an und kümmern sich um die pädagogischen Projekte für Schulklassen
  • Die Burg soll letztlich einen ummauerten Innenhof mit Wehrgängen, Brückentor und Ausfallpforte, einen Burgfried, ein Herrenhaus (Pallas) und einen Brunnen umfassen, dahinter schließt sich eine hölzerne Motte (Not-Fort) an.
  • Der Eintritt kostet neun, erm. sieben Euro
  • Öffnungszeiten: Juli/August: tgl. 10-19 Uhr, außerhalb der Saison nur bis 17.30 Uhr und mittwochs geschlossen, Nov.-März kein Zutritt
  • Für die Besichtigung sollte man ca. 1,5 bis 2 h einplanen
  • Anfahrt mit dem Auto: im Navi „F 89520 Treigny“ eingeben und dort der Ausschilderung folgen bzw. GPS-Koordinaten :3°09'17'' Ost, 47°34'53" Nord
  • Weitere Informationen: www.guedelon.fr und http://de.wikipedia.org/wiki/Guedelon

Nächste Station: Die Schlösser der Loire
Zurück zu Reise-Oigers Heimatseite