Dienstag, 18. Juni 2013

Maginots teure Fehlplanung

Die unterirdische Festung Hackenberg bei Metz





Video: Kanonenturm in Aktion. Autor: hw

Der Lärm ist ohrenbetäubend, als unser lothringischer Führer den Hebel am Geschützpanzerturm umlegt: Über 70 Jahre alte französische Hochtechnologie setzt sich in Bewegung, gewaltige Elektromotoren drehen den tonnenschweren Stahlkoloss. Man sieht sie innerlich vor dem Auge, jene acht Männer in bläulicher Uniform mit dem Adrianshelm, die 1939 den Geschützturm erstmals in Gefechtsbereitschaft versetzten. Das erste Übungsschießen mit dem in der dritten Turmetage eingezwängten Schützen. Wie er blind den Auslöser drückte, sich ganz auf auf die Feuerleitlösung verließ, die per Telegrafenzeiger aus dem Leitbunker kam. Das Rattern der Panzerkuppel oben, die sich nach jedem Schuss senkte, um dem Feind kein Ziel zu bieten. Man vermeint das Surren des Elektroaufzug zu hören, der Granate auf Granate in den Turm hob. Das Donnern des 135-mm-Geschützes, die schweren Hülsen, die in der Spiralrutsche gen Boden schepperten, um wiederverwertet zu werden...


Hackenberg Eingang
Eingang zum Fort Hackenberg. Fotos: hw



„L’Ouvrage Hackenberg“ (Werk Hackenberg) war die erste unterirdische Festung aus jener Verteidigungslinie, mit der sich Frankreich in der Zwischenkriegszeit gegen einen neuerlichen deutschen Einmarsch schützen wollte und die wir heute als Maginot-Linie kennen – benannt nach dem französischen Kriegsminister André Maginot. Hier wurden die Konzepte einer Fortifikation untertage erstmals in größerem Maße ausprobiert. Wenngleich vieles aus Kostengründen unvollendet blieb, ist das Fort im lothringischen Vrecking nahe Metz die wohl größte und imposanteste Anlage, die heute noch besichtigt werden kann.


Stollen im Fort Hackenberg
Der Hauptstollen


Die 1930 bis 1940 erbaute Maginotlinie umfasste eine Perlenkette aus Befestigungen, die sich von Belgien bis Italien erstreckte, wobei an der Grenze zur Schweiz, zu Belgien und in den Ardennen keine oder nur schwache Anlagen bis zum Kriegsausbruch gebaut wurden – was die Wehrmacht seinerzeit ausnutzte. Dass sich die Linie letztlich als weitgehend nutzlos erwies, hing auch mit dem militärstrategischen Wandel zusammen: Anders als im I. Weltkrieg setzte das Deutsche Reich 1940 nicht auf riesige Infanterie- und Artellerieheere, sondern auf den Bewegungskrieg, Luft- und Panzerwaffe und bunkerbrechende Hohlladungsgranaten, gegen die die Maginotlinie wenig half. Das Maginot-Konzept war im Übrigen bereits während seiner Bauzeit in Frankreich umstritten: Wegen der Kostenexplosion, aber auch strategisch.


Küche im Bunker
Küche: Puppen zeigen das Bunkerleben


Dennoch war der ingenieurtechnische Aufwand, der heute noch im Fort Hackenberg zu bewundern ist, imposant: In der zweieinhalbstündigen, auch deutschsprachigen Führung kann der Besucher große Teile des zehn Kilometer langen Stollennetzes besichtigen, das die Franzosen ab 1930 in die Weckringer Berge trieben. Vier Kilometer davon waren mit einer elektrischen Grubenkleinbahn erschlossen, um Mannschaften und Munition zu transportieren – eine kleinere Streckenfahrt ist Teil der Führung.

Obgleich manches etwas Disneyland-mäßig anmutet, hat sich die „Association AMIFORT VECKRING“, die das Fort nach der Aufgabe durch das Militär in den 70ern wieder in Schuss brachte und heute betreibt, viel Mühe gegeben, damit die zweieinhalb Stunden wie im Fluge vergehen: Die Führung ist solide und informativ, der Schauwert recht hoch. Schon kurz nach dem Stolleneingang sind Beutestücke und Gaben wie leichte Panzer und Geschütze zu sehen, weiter hinten die übermannshohen, tösenden Dieselgeneratoren, die das Fort im Notfall mit Strom versorgen konnten. Die Seitenhöhlen mit Mannschafts- und Offiziersküchen, Wäscherei etc. sind verglast, zur Anschauung verrichten dort Puppen in zeitgenössischen Unformen ihren Dienst. In den früheren Kasernen gibt es eine Ausstellung mit Waffen, Uniformen, Zeitungsartikeln und anderen Exponaten aus der französischen Militärhistorie.


Saufen gegen den Grubenkoller





Abb. Wiki/AKA
Oft dauerte es bis zu drei Monate, bis die Ablösung kam: eine lange Zeit für einen Soldaten unter Tage, ohne Sonnenlicht, bei ständiger Feuchtigkeit und Kälte, ohne Abwechslung. Um dies den Mannschaften erträglicher zu machen, bekamen die Festungsbesatzungen eine ganz spezielle Sonderration zugebilligt: Jedem Soldaten stand ein halber Liter Rotwein pro Tag zu, um das Höhlenleben zu verschmerzen. Das Weinlager wurde freilich streng bewacht, damit das Saufen gegen den Grubenkoller nicht überhand nahm.




Kanonenrohr
Stationäres Geschütz


Von den Kasernen aus geht es mit der Grubenbahn (Vorsicht: kühl – warm anziehen!) zum eingangs erwähnten Panzerdrehturm, den man in Aktion sehen kann - leider ohne Probeschießen ;-( Zum Schluss führt die Tour hinaus ins Freie, um die niedrigen Kuppeln zu besichtigen, die als einziges Indiz von außen auf das riesige Fort unter der Erde hinweisen. Wie der Tourführer berichtet, hat dieses Versteckspiel 1944 recht gut funktioniert: Da viele Geschütze auch ins Hinterland drehbar waren, um Nachbarforts flankierend zu schützen, verschanzte sich gegen Kriegsende ein kleiner deutscher Trupp in der Festung Hackenberg und hielt die vorrückenden Amerikaner einige Zeit auf. Die Alliierten konnten den Ursprung des Beschusses erst ausfindig machen, als ihnen Einheimische, die einst am Fortbau als Bauarbeiter beteiligt waren, die Position der Panzertürme zeigten.


Zahlen und Fakten

Maginotlinie
  • erbaut 1930-1940 (Übergabe an die Wehrmacht)
  • Kosten: 5 Mrd. (alte) Franc (staatliche Angabe, tatsächlich fielen die Kosten weit über dem Plan aus)
  • bestand aus über 100 geschützbewehrten Forts (vor allem gegen Infanterieangriffe, kaum Luftabwehr), MG-Unterständen und Beobachtungsposten
  • aus Zeit- und Kostengründen nur 19 von 40 Werken realisiert
Ouvrage Hackenberg
  • erbaut 1930-39 als Prototyp
  • bis zu 1800 Bauarbeiter aus der Region waren am Bau beteiligt
  • 1080 Mann Sollbesatzung
  • bis zu 96 Meter tief, 10 km Stollennetz, davon 4 km mit Grubenbahn erreichbar
  • 1940 an Wehrmacht übergeben, ab 1943 unterirdischer Rüstungsbetrieb (Flugzeutteile etc.), Ende 1944 von den Deutschen beim Rückzug aufgegeben
  • Führung in Deutsch: Mitte Juni bis Mitte September tägl. 15 Uhr, an den Wochenenden 14.30 Uhr, kostet neun Euro
  • Im Navi "F-57920 Veckring eingeben", Weg ist auch ausgeschildert
  • Mehr Infos: http://www.maginot-hackenberg.com/accueilallemand.htm und http://de.wikipedia.org/wiki/Fort_Hackenberg

Nächster Halt: Burgenbau heute in Guédelon 
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