Donnerstag, 6. Juni 2013

In Epidauros hat sich's ausgewundert

Antikes Theater am Asklepios-Heiligtum von Epidauros

Epidauros, Donnerstag, vor ca. 2300 Jahren: Poleklas Lakonikos galt schon immer als Unglücksrabe der Familie und diesmal hat es ihn arg getroffen: Bei der Feldarbeit ist ihm ein Stein auf den Fuß gefallen und hat seinen Zeh zerschmettert. Der örtliche Quacksalber hebt die Hände und schickt ihn zum Asklepios-Heiligtum von Epidauros. Nach einem Marsch über abgelegene Bergpfade hinkt der Bauer eingeschüchtert durch das weiß in der Hitze gleißende Säulenportal. Jüngerinnen des Apoll geleiten den Verletzten am riesigen Tholos-Rundbau mit Mamorzier, an den Bädern und Zisternen vorbei zum Fremdenhaus, wo Poleklas eine unruhige Nacht verbringt - immer wieder hochschreckend vom Jammern aus dem Quarantänetrakt, in dem die Priester die ansteckenden Kranken isoliert haben. Die Tempeldiener hatten ihm zwar zur Ablenkung einen Poesieabend im großen Theater nebenan empfohlen, aber nach einem Blick auf die langen Treppen hinauf zu den wenigen freien Plätze ganz oben konnte Poleklas nur noch an seinen schmerzenden Zeh denken.



Die Reste der Abaton-Säulenhalle von Epidauros
Am nächsten Morgen schließlich wird er in den Eher unscheinbaren Asklepios-Tempel geführt - das Herz des heiligen Distrikts. Poleklas opfert dem Urvater der medizinischen Weisheit, bestaunt die goldenen Votivgaben in den Nischen, schämt sich ein wenig für den kargen Bronzering, den er als Bauer dem Göttlichen nur darbieten kann. Die Tempeldienerinnen ziehen den Verletzten weiter zur heilenden Stoa, wo ihm Priester Trost ins Ohr zischeln, ihn stützen, ihn hinunter zum Quelllabyrinth führen. Auf einer der steinernen Bänke schlummert der Olivenbauer ein, träumt: Eine Schlange windet sich aus einer Grube, von Asklepios gesandt, schlängelt sich um sein Bein, beißt - und verschwindet. Als Poleklas wieder erwacht, sind die Schmerzen im Zeh verhallt - der Gott hat sein Opfer erhört...

Die weit ausgedehnten Reste des Asklepions
2300 Jahre später ist dieser Genesungswunder-Erlebnispark, der in der Antike Tausende Kranke und Verwundete anlockte, ein riesiges Trümmerfeld. Vom imposanten Tholos künden einzelne Säulen, durch ein EU-Förderprogramm neu geschlagen, Die weichen Steine des Asklepios-Tempels haben Erdbeben, Feuer und Wildwuchs dem Erdboden gleichgemacht - auch hier ist ein als "Rekonstruktion" bemäntelter Teil-Neubau im Gange. Auch das 13.000 Besucher fassende antike Theater hatten sichtlich neuzeitliche Steinmetze in der Mache - ein in seiner Größe faszinierender Anblick.
Die wundersamen Heilkräfte des Ortes konnten indes weder EU noch Unesco (das wiederausgegrabene Alt-Epidauros ist Weltkulturerbe geworden) oder neugriechische Bauleute wieder erwecken: Meinen Sonnenbrand jedenfalls hat der Ausflug nur verstärkt...